Süchtig nach Büchern, Kaffee und Schokolade
East Gladness in New England (USA) im Herbst 2009: Hai, Sohn einer vietnamesischen Einwanderin, ist tablettenabhängig, gescheitert und verzweifelt. Der queere 19-Jährige hat sein Studium abgebrochen und will nun Suizid begehen. Aber Grazina, eine alte Frau und Migrantin aus Litauen, kann ihn davon gerade noch abbringen. Zwischen den beiden entsteht eine besondere Verbindung…
„Der Kaiser der Freude“ ist ein Roman von Ocean Vuong.
Aufgeteilt in 25 Kapitel, wird die Geschichte aus der Sicht von Hai erzählt. Die Handlung umspannt mehrere Monate und spielt in den Jahren 2009 und 2010.
Vor allem in sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman begeistert. Mit poetischer Note, authentischen Dialogen und eindrücklichen Beschreibungen: So lässt sich der atmosphärisch starke Stil charakterisieren.
Auch die Figuren wirken sehr lebensnah. Sie besitzen psychologische Tiefe und werden schlüssig gezeichnet. Das gilt insbesondere für Hai, den Protagonisten, dessen Denken und Fühlen nachvollziehbar geschildert wird.
Es geht um Menschen am Rand der Gesellschaft. Um einen Alltag außerhalb des Amerikanischen Traums. Um ein unglamouröses Leben, das viele kennen. Trostlosigkeit und Einsamkeit auf der einen, kleine Augenblicke des Glücks und Gemeinschaft auf der anderen Seite. Dadurch schafft die Geschichte einige Anknüpfungspunkte und regt zum Nachdenken an.
Auf den mehr als 500 Seiten ist der Roman unterhaltsam und berührend, aber wenig temporeich und ohne größere Überraschungen. Das recht offene Ende habe ich als stimmig empfunden.
Der deutsche Titel kommt zwar leider nicht an die Wortspielerei des Originals („The Emperor of Gladness“) heran, passt aber dennoch gut. Auch das reduzierte und gleichzeitig stimmungsvolle Cover ist gleichwohl ansprechend wie inhaltlich angemessen.
Mein Fazit:
Mit „Der Kaiser der Freude“ hat Ocean Vuong einen außergewöhnlichen, lesenswerten Roman geschrieben.
Im Jahr 2019 in einem Krankenhaus in Lakka (Sierra Leone): Als John Green bei einem Besuch zufällig auf den 16-jährigen Henry Reider trifft, macht ihn das Schicksal des jungen Patienten betroffen. Bis zu diesem Tag hielt der Schriftsteller Tuberkulose für eine Krankheit der Vergangenheit. Nach der Begegnung beginnt Green zu recherchieren und zu realisieren, wie wichtig der Kampf gegen die unterschätzte Infektion ist…
„Tuberkulose - Es ist Zeit, die tödlichste Infektion der Welt zu besiegen“ ist ein Sachbuch von John Green.
Von einem Vorwort und einem Nachwort eingerahmt, besteht das Sachbuch aus 23 kurzen Kapiteln. Jedes widmet sich unterschiedliche Aspekten.
Der Schreibstil ist angenehm anschaulich, einfühlsam und lebhaft. Obwohl viele Daten, Zahlen, Fachbegriffe und sonstige Fakten in den Text eingearbeitet sind, ist er keineswegs trocken oder sperrig. Er richtet sich an medizinische Laien und ist sehr gut verständlich.
Aus inhaltlicher Sicht ist das Buch trotz der nur knapp 200 Seiten umfangreich und gehaltvoll. Es beleuchtet die Historie der Tuberkulose, insbesondere ihre Deutung und Behandlung im Verlauf der vergangenen Jahrhunderte. Prominente Opfer werden genannt. Zudem geht es um einen Teil der Familiengeschichte des Autors.
Natürlich geht John Green außerdem auf die aktuelle Forschung und die heutigen Therapien gegen Tuberkulose ein. Er führt eindrücklich vor Augen, wie viele Menschen immer noch der Infektion erliegen und wie viel besser die Krankheit besiegt werden könnte, wenn Medikamente und Fachpersonal gerechter verteilt würden. Dass er mit Herzblut für eine bessere Versorgung von Betroffenen kämpft, wird vor allem zum Schluss des Buches deutlich. Green informiert nicht nur über Tuberkulose, sondern richtet seinen Appell an die breite Öffentlichkeit: Es muss gehandelt werden.
Wie die Krankheit heutzutage verläuft, schildert Green anhand des jungen Patienten Henry. Erschütternd und bewegend wird das Sachbuch vor allem bei diesen Passagen. Das Leiden des jungen Mannes, dessen Fotos abgedruckt sind, ging mir während des Lesens nahe.
Das moderne Covermotiv entspricht zwar nicht ganz meinem Geschmack, passt allerdings gut. Der deutsche Titel weicht deutlich ab vom englischsprachigen Original („Everything is Tuberculosis: The History and Persistence of Our Deadliest Infection“). Er gefällt mir jedoch sogar besser.
Mein Fazit:
Mit „Tuberkulose - Es ist Zeit, die tödlichste Infektion der Welt zu besiegen“ hat John Green ein kurzweiliges Sachbuch geschrieben, das nicht nur aufklärt und informiert, sondern auch aufrüttelt und berührt. Er nutzt seine Popularität, um für die Bekämpfung einer oft tödlichen verlaufenden Krankheit zu werben. Ein begrüßenswertes Anliegen und ein empfehlenswertes Buch!
Juli 1962 im US-Bundesstaat Maine: Eine Mi’kmaq-Familie aus Nova Scotia (Kanada) reist an, um bei der Blaubeerernte im Sommer zu helfen. Mehrere Wochen später ist die vierjährige Ruthie, das jüngste Kind der Familie, verschwunden. Ihren Bruder Joe (6), der sie als letzter gesehen hat, trifft dieser Verlust sehr. Ihn verfolgt das mysteriöse Verschwinden jahrelang. Während er um seine kleine Schwester trauert, wächst die junge Norma als Einzelkind bei einer wohlhabenden Familie in Maine auf.
„Beeren pflücken“ ist der Debütroman von Amanda Peters.
Der Roman ist sinnvoll und nachvollziehbar strukturiert: Auf einen Prolog folgen 17 Kapitel. Erzählt wird im Wechsel in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Joe und der von Norma. Die Handlung umspannt mehrere Jahrzehnte.
Die Sprache des Romans ist unauffällig. Der Schreibstil ist geprägt von vielen Dialogen und anschaulichen Beschreibungen.
Im Vordergrund stehen Joe und Norma, zwei durchaus interessante Charaktere. Sie verfügen über ausreichend psychologische Tiefe.
Thematisch dreht sich die Geschichte überwiegend um Verlust und Trauer, Schuldgefühle, Abstammung und die Bedeutung von Familie. Eine Stärke des Romans liegt darin, dass die Autorin auch die Historie der Mi‘kmaq beleuchtet und damit ihren Vorfahren eine Stimme gibt. So erhalten wir Einblicke in das Leben indigener Wanderarbeiterfamilien.
Die rund 300 Seiten sind weniger spannend als erwartet, aber dennoch unterhaltsam und vor allem berührend.
Für mich erschließt sich nicht, warum der englischsprachige Originaltitel („The Berry Pickers“) in der deutschen Übersetzung verändert wurde. „Die Berrenpflücker“ wäre eine deutlich bessere Variante gewesen. Das deutsche Covermotiv passt meiner Ansicht nach jedoch gut.
Mein Fazit:
Mit „Beeren pflücken“ hat Amanda Peters einen bewegenden und interessanten Roman geschrieben. Ein lesenswertes Debüt!
Fehrdorf in Schleswig-Holstein: Mit großen Erwartungen sind Lara und Ingo Fenske mit ihren Kindern Erik und Erin in die 200-Seelen-Gemeinde gezogen. Der selbstständige Wirtschaftsinformatiker und die freiberufliche Grafikdesignerin sind der Großstadt Hamburg entflohen und erhoffen sich auf einem ehemaligen Bauernhof am Ortsrand Ruhe und Entschleunigung. Doch die gewünschten Effekte wollen sich nicht einstellen. Als Ingos Auto mit einer weißen Hirschkuh kollidiert, macht er Bekanntschaft mit Jäger und Landwirt Uwe Hennemann. Mit den anderen Bewohnern kommt die Familie Fenske nun ebenfalls intensiver in Kontakt. Dabei wird deutlich, dass auch die Einheimischen nicht frei von Problemen sind…
„Hier draußen“ ist der Debütroman von Martina Behm.
Der Roman ist sinnvoll strukturiert. Er gliedert sich in fünf Teile mit ingesamt 47 kurzen Kapiteln. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven und in chronologischer Reihenfolge. Die Handlung umfasst ein Jahr und spielt vorwiegend, aber nicht ausschließlich im fiktiven Ort Fehrdorf und dessen unmittelbarer Umgebung.
Obwohl das Personal des Romans erstaunlich umfangreich ist, geht die Orientierung beim Lesen nicht verloren. Alle Charaktere erscheinen äußerst lebensnah, in sich stimmig und psychologisch ausgefeilt dargestellt. Der Mix an Figuren unterschiedlicher Generationen, Professionen und Konstellationen erzeugt ein interessantes Dorfpanorama.
Auf der inhaltlichen Ebene ist der Roman sehr facettenreich. Es geht einerseits um wirtschaftliche und finanzielle Probleme, vor allem die Rentabilität in der Landwirtschaft, aber auch um persönliche Herausforderungen wie Eheprobleme und gesellschaftliche Konflikte wie die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf. Dabei entwirft die Autorin ein sehr authentisches und umfassendes Bild des heutigen Landlebens. Der Roman schafft damit vielerlei Anknüpfungspunkte.
Trotz der immerhin fast 500 Seiten kommt die Geschichte ganz ohne Längen und Redundanzen aus. Sie ist nicht nur unterhaltsam, sondern auch berührend, ohne ins Kitschige abzudriften. Die Handlung ist durchweg schlüssig und glaubwürdig.
Gut gefallen hat mir zudem der unaufgeregte, anschauliche Schreibstil. Die ungekünstelte Sprache mit plattdeutschen Zitaten, eindrücklichen Beschreibungen und realitätsnahen Dialogen passt hervorragend zur Geschichte.
Auch der prägnante Titel ist eine sehr gute Wahl. Das ungewöhnliche Covermotiv ist hübsch, legt aber zu sehr den Fokus auf die Hirschkuh, die - anders als es der Klappentext vermuten lässt - nur eine untergeordnete Rolle im Roman spielt.
Mein Fazit:
Mit „Hier draußen“ hat Martina Behm ein in mehrfacher Hinsicht gelungenes Debüt abgeliefert. Definitiv eine lohnende, sehr empfehlenswerte Lektüre!
Hella Renata Karl, Anfang 50 und Feuilletonchefin einer großen Berliner Tageszeitung, ist geschockt: Kai Hochwerth, der frühere Intendant einer der größten Bühnen in der Hauptstadt, hat sich in Sydney umgebracht. Hat Hella nicht nur die Schuld am Rausschmiss des 54-Jährigen, sondern ihn auch in den Selbstmord getrieben? Sie hatte über seinen Machtmissbrauch geschrieben. Nun steht die Journalistin am öffentlichen Pranger und erhält Hassnachrichten. Und es droht weiterer Ungemach…
„Der Einfluss der Fasane“ ist ein Roman von Antje Rávik Strubel.
Untergliedert in sieben Kapitel, wird in personaler Perspektive aus der Sicht von Hella erzählt, durchweg chronologisch, aber mit Rückblenden. Die Handlung umfasst nur wenige Wochen und spielt in Berlin, Potsdam und Umland.
Vor allem auf der sprachlichen Ebene hat mich der Roman beeindruckt. Die Autorin vermag es, atmosphärisch, anschaulich und bildstark zu schreiben, mit leichter Feder und ohne viele Worte zu verschwenden. Was mir ebenfalls gefallen hat: Im Text wird immer wieder der Umgang mit Sprache und Formulierungen auf gekonnte Weise reflektiert.
Hella ist eine reizvolle Protagonistin, jedoch keine klassische Sympathieträgerin und eine eher unbequeme Person. Sie ist sehr ehrgeizig, selbstbezogen und äußerst selbstbewusst. Um ihren Weg zu machen, hat sie Verhaltensweisen und Ansichten übernommen, die an ältere Männer erinnern. Ihr Denken und Handeln ist nicht immer leicht zu ertragen, aber in sich schlüssig und nachvollziehbar. Auch die übrigen Charaktere wirken größtenteils ausgefeilt, nur wenige Nebenfiguren sind etwas zu stereotyp geraten.
Auf den rund 230 Seiten wird die Geschichte von einer subtilen Spannung getragen. Wird Hella ihren Hals aus der Schlinge ziehen können? Was hat den Intendanten zu dem drastischen Entschluss getrieben? Erst Stück für Stück werden die Zusammenhänge klarer. Aus inhaltlicher Sicht hat der Roman viel Interessantes zu bieten.
Der Missbrauch von Macht in der Kultur- und insbesondere Theaterszene ist ein wichtiges und lohnenswertes Thema. Es geht dabei um patriarchale Herrschaftsstrukturen, internalisierte Misogynie, antifemistisches Denken und sexistisches Gehabe. Aber auch mediale Hetzjagden, die Dynamik öffentlicher Diskurse und die Auswüchse der Empörungskultur tauchen auf. Zusätzlich wurden die Aspekte von Schuld und Verantwortung sowie die Prägung der Persönlichkeit durch Klasse und Herkunft eingearbeitet. Das macht die Geschichte facettenreich und verleiht ihr Gewicht. Insgesamt bleibt der Roman jedoch zu sehr an der Oberfläche, die Botschaft des Romans wird durch die Themenfülle stark verwässert.
Die Fasan-Symbolik wird nicht nur konsequent im Titel und im hübschen Covermotiv aufgegriffen, sondern zieht sich auch durch den gesamten Text. Deren Bedeutung bleibt mir dennoch ebenfalls zu diffus.
Mein Fazit:
Mit „Der Einfluss der Fasane“ hat Antje Rávik Strubel einen lesenswerten Roman geschrieben, der auf problematische Strukturen verweist. Sprachlich überzeugend, aber inhaltlich leider zu schwammig.
Margrit Raven kann auf 102 Jahre zurückschauen. Nun lebt die Witwe in einem betreuten Wohnheim am Elbufer in Hamburg, wo sie sich heimisch fühlt. Ihr Sohn Frieder, der im fernen Australien wohnt, lässt sich nicht mehr blicken. Doch Enkelin Luzie (18) besucht ihre Großmutter gerne und regelmäßig. Auch Arthur (24), der den Fahrdienst für die Senioren übernimmt, ist eine willkommene Gesellschaft. Was Margrit nicht weiß: Die beiden jungen Leute leiden unter Ereignissen, die sich vor nicht allzu langer Zeit in ihren Leben abgespielt haben…
„Flusslinien“ ist ein Roman von Katharina Hagena.
Die Struktur des Romans orientiert sich an seiner Handlung. Jedem der zwölf Tage ist ein Teil gewidmet, der sich zumeist in mehrere Kapitel gliedert. Erzählt wird im Präsens aus der Sicht der drei Hauptfiguren: Margrit, Luzie und Arthur, in chronologischer Reihenfolge, aber mit Rückblenden. Die Handlung spielt in Hamburg.
Begeistert hat mich die Sprache des Romans. Jeder Tag wird mit atmosphärischen, poetisch anmutenden Naturbeschreibungen, die zunächst mysteriös bleiben, eingeleitet. Der eigentliche Text des Romans setzt sich immer wieder mit Sprache und Formulierungen auseinander. Mal geht es um Kunstsprachen, mal um Redewendungen und mal um den richtigen Ausdruck. Wortspiele wie „Seh-nie-Ohren-Residenz“ und Neologismen wie „Geheimweh“ haben mir beim Lesen Freude bereitet.
Die drei Hauptcharaktere empfinde ich als sehr reizvoll. Die betagte Margrit ist eine ungewöhnliche Protagonistin. Auch Luzie und Arthur haben interessante Hintergründe, die sich erst nach und nach offenbaren.
Neben den fiktiven Figuren nimmt eine historische Persönlichkeit, die Gärtnerin Else Hoffa, für meinen Geschmack jedoch zu viel Raum im Roman ein. An ihr zeigt sich zwar die Recherchearbeit der Autorin. Dennoch ist die Verbindung der fiktiven Charaktere zu Hoffa zu lose, um die ausführlichen Passagen zu ihrer Biografie und ihrem Leben zu rechtfertigen. Mich haben diese Stellen daher zunehmend gelangweilt.
Thematisch ist die Geschichte sehr breit aufgestellt. Der Roman ist zugleich eine Familiengeschichte und stellt drei persönliche Schicksale dar, die geprägt sind von Trauer, Einsamkeit und anderen psychischen Problemen. In manchen Bereichen wie Atemtechniken konnte ich neues Wissen sammeln. Auf anderen Gebieten, beispielsweise die Elbvertiefung und deren Folgen für die Artenvielfalt, bleibt der Roman zu sehr an der Oberfläche.
Im ersten Drittel der fast 400 Seiten konnte mich die Geschichte berühren und gut unterhalten. Danach häufen sich leider langatmige Passagen und Wiederholungen. Absurde, fast schon groteske Episoden sowie unglaubwürdige Entwicklungen haben meinen Lesespaß zunehmend getrübt.
Der mehrdeutige Titel des Romans passt gut zum Inhalt und erschließt sich bald. Das stimmungsvolle Covermotiv ist ebenfalls sinnvoll gewählt.
Mein Fazit:
Mit „Flusslinien“ hat Katharina Hagena meine hohen Erwartungen bedauerlicherweise nicht komplett erfüllen können. Auf der sprachlichen Ebene hat mich das Buch überzeugt, auf der inhaltlichen in mehrfacher Hinsicht enttäuscht. Daher nur bedingt empfehlenswert.
New York City an der Ostküste der USA: „Engine 99“, die Eliteeinheit der Feuerwehr, bekämpft nicht nur Brände, sondern legt sie auch, um abzulenken. Etliche große Beutezüge gehen auf das Konto der Gruppe. Andrea Nearland, eine freiberufliche Ermittlerin, ist das neueste Mitglied der Crew. Sie wurde vom FBI auf die Gruppe angesetzt. Ben ist ihr als einziger der Einheit sympathisch. Nun steht der wohl größte Coup an und es wird immer klarer, dass das Spiel mit dem Feuer für Andy sehr riskant ist.
„Devil‘s Kitchen“ ist ein Thriller von Candice Fox.
Trotz der nicht ganz simplen Struktur lässt sich die Geschichte gut nachvollziehen. Der Roman beginnt mit einem Prolog. Auf ihn folgen sechs lange Kapitel, die in weitere Abschnitte unterteilt sind. Erzählt wird fast ausschließlich aus der Perspektive von Andy und der von Ben, allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge. Die Handlung umfasst die Jahre 2005 bis 2013.
Die Sprache des Thrillers ist teilweise etwas vulgär. Die Dialoge wirken jedoch authentisch und lebhaft, die Beschreibungen sind anschaulich.
Eine Stärke von Candice Fox ist das Zeichnen der Charaktere. Auch in dieser Geschichte wird sie ihrem Ruf gerecht, kantige und zugleich glaubhafte Figuren darzustellen.
Das Setting des neuen Buches finde ich interessant und ungewöhnlich. Dass die Autorin sorgsam recherchiert hat, ist dem Thriller an einigen Stellen anzumerken. Neben dem Schwerpunkt Feuerwehr geht es um Sexismus und toxische Männlichkeit. Damit trifft das Buch den Nerv der Zeit und gibt Denkanstöße.
Auf den mehr als 400 Seiten nimmt die Geschichte schnell an Tempo auf. Die Handlung ist, wie von den anderen Werken der Autorin gewohnt, durchweg kurzweilig und spannend. Auch die Auflösung, die nicht leicht vorhersehbar ist, hat mich überzeugt.
Das deutsche Covermotiv ist atmosphärisch und passt gut zum Inhalt. Der Titel wurde 1:1 vom Original übernommen.
Mein Fazit:
Mit „Devil‘s Kitchen“ stellt Candice Fox erneut unter Beweis, dass sie zu recht eine feste Größe im Spannungsgenre ist. Wieder einmal hat sie meine hohen Erwartungen erfüllt. Sehr empfehlenswert vor allem für diejenigen, die keine 08/15-Thriller lesen möchten!
Die Zwillinge Lilit und Lina el Shami wachsen bei ihrem Großvater Maroun in Montréal (Kanada) auf. Vor drei Generationen sind ihre libanesischen Vorfahren ausgewandert. Als die Schwestern eine alte Postkarte von ihrer Großmutter Anoush finden, beginnen sie, sich für ihre Herkunft zu interessieren. Fragen tauchen plötzlich auf: Warum haben es dem Großvater Raketen angetan? Was hat es mit dieser Frau im Mond, die im Text der Postkarte erwähnt wird, auf sich? Lilit startet eine Recherche und folgt den Spuren bis nach Beirut (Libanon)…
„Frau im Mond“ ist ein Roman von Pierre Jarawan.
Die Struktur ist, wie bei Jarawan gewohnt, verschachtelt und sehr durchdacht: Der Roman besteht aus drei Teilen, benannt nach den Stufen einer Rakete. Die 50 Kapitel sind nummeriert, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, um einen Countdown nachzuahmen. Die Handlung umspannt mehrere Jahrzehnte. Erzählt wird vorwiegend in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Lilit, allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern mit zahlreichen zeitlichen Sprüngen.
Das Personal des Romans ist unerwartet umfangreich. Der Fokus liegt allerdings auf Lilit und ihrer Familie. Die Figuren machen einen lebensnahen Eindruck und verfügen über psychologische Tiefe.
Auf der inhaltlichen Ebene hat der Roman zwei Schwerpunkte: Zum einen ist er ein unterhaltsames Familienepos, zum anderen eine interessante Auseinandersetzung mit zwei historischen bedeutsamen Ereignissen im Libanon: der Start einer Weltraumrakete im Jahr 1966 und die Explosion im Hafen von Beirut im Jahr 2020.
Auf den fast 500 Seiten werden die Themen geschickt miteinander verknüpft. Die Handlung ist sowohl schlüssig als auch kurzweilig. Sie hält Überraschungen bereit.
Die sorgfältige und fundierte Recherche des Autors wird immer wieder deutlich, nicht erst in der ausführlichen und interessanten Danksagung. Löblicherweise hat er zudem eine Nachbemerkung verfasst, die die Geschichte um weitere historische Details ergänzt. Ein tolles Extra sind außerdem die beiden Fotos am Ende des Buches, die der Autor selbst angefertigt hat.
Auch in sprachlicher Hinsicht hat mich das Buch überzeugt, wenn auch nicht so sehr begeistert wie die beiden ersten Romane des Autors. Die Dialoge wirken lebhaft und authentisch. Die Beschreibungen sind anschaulich und atmosphärisch. Erneut stellt Jarawan sein erzählerisches Können unter Beweis.
Die Covergestaltung wirkt auf mich aufgrund des Designs, das an eine Collage erinnert, etwas unruhig. Sie passt aber genauso wie der Titel gut zur Geschichte.
Mein Fazit:
Zum dritten Mal ist Pierre Jarawan ein äußerst lesenswerter Roman gelungen, der zugleich aufklärt und hervorragend unterhält. Auch „Frau im Mond“ wird mir noch lange in positiver Erinnerung bleiben. Große Empfehlung!
Berlin im Sommer 2014: Als Informatikstudentin Lucy Wittenberg (23) nach ihrem Seminar an der Universität in ihre WG zurückkehrt, steht plötzlich ein großes Klavier in ihrem Zimmer: der Steinway, auf dem sie als Kind und Jugendliche in der elterlichen Wohnung üben müsste. Was hat das zu bedeuten? Zu ihrer Mutter Daria, einer Kinderärztin, hat sie seit drei Jahren keinen Kontakt mehr. Lucy ahnt noch nicht, dass sie in den kommenden Tagen tief in ihre Familiengeschichte eintauchen und einiges über ihre Großmutter Lyudmila, gebürtige Polin und eine der ersten Chemikerinnen im Libanon, erfahren wird…
„Die Summe unserer Teile“ ist der Debütroman von Paola Lopez.
Die Geschichte umspannt 70 Jahre (1944 bis 2014) und spielt in Berlin, München, Beirut und Sopot. Es gibt drei Erzählstränge. Erzählt wird im Präsens aus wechselnder Perspektive: der von Lucy, der von Daria und der von Lyudmila. Angaben zu Beginn der insgesamt 19 Kapitel verhindern, dass man wegen der Zeitsprünge den Überblick verliert.
Besonders in sprachlicher Hinsicht hat mir der Roman gefallen. Schöne Naturbeschreibungen und ungewöhnliche, kreative Sprachbilder haben mir beim Lesen viel Freude bereitet.
Die drei Frauen, also Großmutter, Mutter und Enkelin, stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Drei durchaus reizvolle Protagonistinnen, jedoch keineswegs Sympathieträgerinnen. Zwar erfahren wir im Laufe des Romans die Hintergründe des Handels. Dennoch blieben mir vor allem Daria und Lyudmila bis zum Schluss fremd. Ihre Motive und Gedanken konnte ich nicht in Gänze nachvollziehen. Auch Lucy mutet in einigen Aspekten zu seltsam an.
Der Roman behandelt vorwiegend die Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern. Es geht dabei insbesondere um das Vererben von Traumata, das Schweigen zwischen den Generationen und das Weitergeben dysfunktionaler Muster innerhalb von Familien. Unter anderem wird die Frage aufgeworfen, wann ein Kontaktabbruch sinnvoll ist, um sich oder andere vor psychischen Verletzungen zu schützen.
Thematisch ist die Geschichte sehr stringent und interessant. In der Umsetzung hat mich der Roman allerdings weniger überzeugt und berührt als andere Bücher mit ähnlichem Inhalt. Auf den rund 250 Seiten kommt die Handlung nur allmählich in Fahrt und wird durch langatmige Passagen mit wissenschaftlichen Ausführungen immer wieder ausgebremst. Zudem beinhaltet die Geschichte ein paar Aspekte, die ich als wenig glaubwürdig empfunden habe.
Das hübsche Covermotiv zeigt einen Ausschnitt eines Ölgemäldes von Lolita Pelegrime. Für mich ist jedoch nicht ganz klar, welche der Protagonistinnen dargestellt sein soll. Der Titel passt aber nach meiner Ansicht gut zur Geschichte.
Mein Fazit:
Mit „Die Summe unserer Teile“ hat Paola Lopez ein spannendes Thema literarisch verarbeitet. Während mich die Sprache ihres Debütromans begeistert hat, hat mich die inhaltliche Umsetzung leider enttäuscht. Nur bedingt empfehlenswert.
Auf einer Halbinsel am nordfriesischen Wattenmeer wohnt Bibliothekarin Annett (49) im alten Haus ihrer Großtante. Nach dem frühen Tod ihres Mannes Johan lebt sie zurückgezogen. Ihre gemeinsame Tochter Linn, Ende 20, hat sie allein großgezogen. Nun engagiert sich die junge Frau in Berlin als Umweltvolontärin in einem Aufforstungsprogramm. Doch sie ist ausgebrannt und kippt während eines Vortrags plötzlich um. Die Mutter holt ihre Tochter daher zu sich. Jetzt müssen beide ihre Beziehung und ihre Leben neu ordnen…
„Halbinsel“ ist ein Roman von Kristine Bilkau, nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse.
Erzählt wird die Geschichte in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Annett - in chronologischer Reihenfolge, aber mit einigen Rückblenden. Die Handlung umfasst mehrere Monate. Der Roman verzichtet auf Kapitel und andere Gliederungen. Der Text wird nur von größeren Absätzen unterbrochen.
Der Schreibstil ist unaufgeregt. Die Sprache des Romans ist klar und unprätentiös, dabei dennoch eindrücklich und einfühlsam. Vor allem die Naturbeschreibungen haben mich überzeugt.
Auf den nur rund 220 Seiten schreitet die Geschichte nur langsam voran. Die Handlung bleibt überschaubar. Nichtsdestotrotz entfaltet der Roman eine immer stärkere Sogkraft.
Im Zentrum der Geschichte steht zweifelsohne die Beziehung von Mutter und Tochter sowie der Generationenkonflikt. Sowohl Annett als auch Linn werden mit psychologischer Tiefe dargestellt und als lebensnahe Figuren gezeichnet. Man kommt ihnen sehr nahe, kann sich in sie einfühlen.
In inhaltlicher Hinsicht ist der Roman gehaltvoll und tiefsinnig. Neben der Familie werden weitere Themen wie der Klimawandel elegant eingeflochten.
Das Covermotiv ist hübsch, aber leider etwas einfallslos. Der prägnante Titel passt jedoch gut und gefällt mir.
Mein Fazit:
Mit „Halbinsel“ ist Kristine Bilkau ein vielschichtiger, bewegender Roman gelungen. Empfehlenswert!
Enna und Jale Eggers lieben es, mit ihrem Boot unterwegs zu sein. Die 17-jährigen Zwillingsschwestern aus dem Alten Land sind gerne in der Natur und zählen die Tage, bis ihre Mutter Alea aus ihrer langen Haft entlassen wird. Seit Jahren leben sie im Ungewissen: Was hat ihre Mutter verbrochen? Wer ist ihr Vater? Und warum machen Alea und Ehmi, die Großmutter der Mädchen, ein solches Geheimnis um die Antworten? Als endlich die Entlassung entsteht, sind plötzlich sowohl Alea als auch Jale verschwunden. Enna ist geschockt und begibt sich auf die Suche nach ihnen…
„Stromlinien“ ist ein Roman von Rebekka Frank.
Die Struktur des Romans ist komplex. Er beinhaltet 57 Kapitel, zwischen denen sich einige mysteriöse Einschübe befinden. Erzählt wird aus wechselnder Perspektive, vor allem aus der Sicht von Enna, Jale, Alea und Gunnar, dessen Verbindung zu den Mädchen erst später klar wird. Immer wieder gibt es große Zeitsprünge, die chronologische Reihenfolge wird nicht eingehalten. Die Handlung umfasst 100 Jahre: 1923 bis 2023. Sie spielt vorwiegend in Hamburg und im Alten Land.
In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman begeistert. Treffende, teils ungewöhnliche Metaphern und Vergleiche sind an vielen Stellen zu finden. Besonders atmosphärisch und anschaulich sind die wunderbaren Naturbeschreibungen, die nur an manchen Stellen etwas ausufernd geworden sind.
Das Personal des Romans ist umfangreich, aber nicht zu zahlreich. Im Mittelpunkt stehen die Zwillingsschwestern Enna und Jale, wobei Erstere besonders viel Raum einnimmt. Ihre Gedanken und Gefühle lassen sich gut verfolgen. Die andere Schwester bleibt deutlich blasser. Nicht immer hat sich mir das Handeln und Denken von Enna, Jale und Alea in Gänze erschlossen. Die Figuren sind allerdings mit psychologischer Tiefe und in sich schlüssig dargestellt.
Aus inhaltlicher Sicht bietet das Buch vor allem zwei Aspekte: Sie ist einerseits ein interessanter Generationenroman und andererseits eine gleichwohl spannende wie bewegende Kriminalgeschichte. Gut gefallen hat mir, dass die Autorin nicht nur eine fiktive, sondern auch zwei historische Schiffstragödien eingearbeitet hat. In einem ausführlichen und lesenswerten Nachwort erklärt sie unter anderem die tatsächlichen Hintergründe dieser Ereignisse und erläutert, was ihrer Fantasie entstammt und was nicht. Auch politische und gesellschaftlich relevante Themen wie die Elbvertiefung sind eingeflossen und verleihen der Geschichte zusätzliches Gewicht.
Im ersten Drittel nimmt die Geschichte nur gemächlich Fahrt auf und enthält Längen. Danach ist der Roman jedoch zunehmend fesselnd und unterhaltsam. Unerwartete Wendungen und eine Fülle von Einfällen machen die Handlung unvorhersehbar. Das geht leider ein wenig zulasten der Glaubwürdigkeit. Insgesamt wirkt die Geschichte zudem stark konstruiert.
Das hübsche und kreative Covermotiv passt außerordentlich gut zum Roman. Auch der prägnante, zweideutige Titel ist eine hervorragende Wahl.
Mein Fazit:
Mit „Stromlinien“ ist Rebekka Frank ein empfehlenswerter Roman gelungen, der in mehrfacher Weise Unterhaltungswert besitzt und mit sprachlicher Schönheit glänzt. Nur was die Glaubwürdigkeit der Handlung angeht, hat mich die Geschichte nicht völlig überzeugt.
Eva Herbergen (62) hat beschlossen, ihre Zulassung als Anwältin nach mehr als 30 Jahren zurückzugeben. Für die Strafverteidigerin ist die Zeit gekommen, ihren Beruf aufzugeben. Bei der Entscheidung spielte nicht nur ihr Alter eine Rolle, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie in der Vergangenheit mehrere Fehler in ihrem Job gemacht hat…
„Dunkle Momente“ ist ein Roman von Elisa Hoven.
Eingerahmt von einem Pro- und einem Epilog, gliedert sich der Roman in neun Kapitel, die jeweils einem Kriminalfall gewidmet sind. Sie sind immer gleich aufgebaut: Zunächst wird der jeweilige Fall mehr oder weniger ausführlich geschildert, danach Herbergens Vorgehen, der Prozess und die abschließende Darstellung, was falsch gelaufen ist. Erzählt wird überwiegend in der Ich-Perspektive aus der Sicht der Strafverteidigerin, allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge. Dennoch fällt die Orientierung dank der Zwischenüberschriften leicht.
Neben den jeweiligen Opfern und Tätern ist Protagonistin Eva eine der Hauptfiguren. Sie ist keine klassische Sympathieträgerin, denn es wird schnell deutlich, dass sie sich sowohl in ihrem Beruf als auch im Privaten Verfehlungen geleistet hat. Ihre Gedanken und Motivationen sind für mich sehr gut ersichtlich, wenn auch nicht immer nachvollziehbar.
Die neun Fälle zeigen die Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit, zwischen Moral und Gesetz. Sie sind allesamt interessant und gleichzeitig vertrackt. Immer wieder wird ein Dilemma geschildert. Es handelt sich jeweils um Situationen, die die Strafverteidigerin gefordert, sie auf die Probe gestellt und in eine knifflige Lage gebracht haben. Das regt zum Nachdenken und Diskutieren an.
Jeder Fall ist dabei unterschiedlich gelagert: Mal geht es um Notwehr, mal um Vergewaltigung, mal um Mord, mal um Wirtschaftskriminalität usw. Die Schilderungen lesen sich spannend. Es gibt unerwartete Wendungen und überraschende Entwicklungen, was die rund 300 Seiten kurzweilig gestaltet. Allerdings machen die dargestellten Fälle auch betroffen und schockieren. Besonders dann, wenn man weiß, dass die Geschichten zumindest zum Teil lose auf realen Fällen beruhen. Leider bleibt die Autorin ein Nachwort schuldig, was Aufschluss über Fakten und Fiktion gegeben hätte.
Die Sprache des Romans ist unauffällig, aber klar, authentisch und anschaulich. Die Erklärungen sind trotz juristischer Details für Laien leicht verständlich. Eine Schwäche des Romans sind jedoch die Rahmenhandlung und insbesondere die erzählerische Verbindung der Fälle, die für meinen Geschmack zu wenig ausgearbeitet ist. Vor allem erscheint es insgesamt als wenig glaubwürdig, dass eine einzige Strafverteidigerin mit gleich neun solch recht spektakulärer Fälle zu tun gehabt haben soll. Möglicherweise hätte ein Sachbuch dem Konzept besser Rechnung getragen.
Überaus gelungen ist in meinen Augen dagegen das symbolträchtige, reduzierte Covermotiv. Auch der prägnante Titel passt hervorragend zum Buch.
Mein Fazit:
„Dunkle Momente“ von Elisa Hoven ist ein inhaltlich interessanter Roman, der einige Denkimpulse liefern und Aha-Momente hervorrufen kann. Durchaus lesenswert, jedoch auf erzählerischer Ebene ausbaufähig.
August 1975 in Camp Emerson in den Adirondack Mountains im US-Bundesstaat New York: Barbara Van Laar (13) nimmt zum ersten Mal am Sommercamp im Naturreservat ihrer reichen Familie teil. Anfangs verläuft alles normal. Doch eines Morgens ist die Jugendliche plötzlich verschwunden. Ist sie bloß abgehauen oder ist etwas Schreckliches passiert? Während der fieberhaften Suche kommen bei vielen die Erinnerungen an Barbaras Bruder hoch, der 14 Jahre zuvor vermisst gemeldet wurde und seitdem nicht mehr aufgetaucht ist. Hängen beide Fälle zusammen?
„Der Gott des Waldes“ ist ein Roman von Liz Moore.
Die Struktur des Romans ist sehr komplex: Er besteht aus sieben Teilen mit mehreren Kapiteln. Dabei gibt es drei Haupterzählstränge: einer betrifft den ersten Vermisstenfall, einer den zweiten und einer die Zeit vor dem Verschwinden des Erstgeborenen. Die Handlung spielt zu verschiedenen Zeitpunkten von der 1950er-Jahren bis zum September 1975. Dabei springt der Roman hin und her. Dennoch fällt es dank eines Zeitstrahls zu Beginn der Kapitel leicht, sich zurechtzufinden. Erzählt wird außerdem aus überraschend vielen Perspektiven. Die Landkarte in den Innenklappen hilft bei der räumlichen Orientierung.
Das Personal des Romans ist erstaunlich umfangreich: Immer wieder werden neue Charaktere eingeführt. Nicht nur die Mitglieder von Barbaras Familie, sondern auch die Angestellten und Teilnehmenden des Sommercamps sowie das Team der Ermittelnden und andere Figuren tauchen auf. So entsteht ein breites Gesellschaftspanorama. Trotz der vielen Personen werden alle handelnden Charaktere mit ihrem individuellen Hintergrund und mit psychologischer Tiefe dargestellt.
Vordergründig geht es in der Geschichte um zwei mysteriöse Vermisstenfälle. Diesbezüglich werden einige Fährten ausgelegt. Es gibt überraschende Enthüllungen und unerwartete Wendungen. Beeindruckend ist das Geflecht an Zusammenhängen, Beziehungen und Verknüpfungen. Obwohl der Roman knapp 600 Seiten umfasst, bleibt die Geschichte undurchsichtig, unterhaltsam und durchweg spannend. Sie kommt gänzlich ohne Wiederholungen oder langatmige Passagen aus. Zudem erscheinen die Handlung und die Auflösung der beiden Fälle stimmig.
Doch es greift zu kurz, die Geschichte bloß als Spannungsroman zu verstehen. Vielmehr wird hier ein umfangreiches Porträt der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten gezeichnet. Es geht um bedenkliche Strukturen in wohlhabenden Familien, die sich von Generation zu Generation fortsetzen, und das Verhalten einflussreicher Personen gegenüber finanziell Schwächeren. Es geht auch um innerfamiliäre Beziehungen und die Stellung der Frau.
So verschachtelt und facettenreich der Inhalt, so klar und schnörkellos ist die Sprache. Dennoch passen die authentischen Dialoge und anschaulichen Beschreibungen ebenfalls gut zur Geschichte.
Das ungewöhnliche, gelungene Covermotiv rundet den Roman ab. Nur der Titel, dessen deutsche Übersetzung nahe am englischsprachigen Original („The God of The Woods“) bleibt, erschließt sich mir nicht so ganz.
Mein Fazit:
Nach „Long Bright River“ hat mich Liz Moore erneut überzeugt. Auch mit „Der Gott des Waldes“ ist der Autorin ein spannender und vielschichtiger Roman mit Tiefgang und zugleich hohem Unterhaltungswert gelungen. Definitiv empfehlenswert!