Drei Jahrhunderte, drei Geschichten
Amerika in drei Jahrhunderten: David Bingham, der junge Spross einer angesehenen Familie, verschmäht im Jahr 1893 einen standesgemäßen Verehrer, weil er sich in einen mittellosen Musiklehrer verliebt hat. 100 Jahre später wohnt ein junger Hawaiianer mit einem deutlich älteren, reichen Mann zusammen und verheimlicht ihm seine Familiengeschichte. Im Jahr 2093 möchte Charlie, die Enkelin eines mächtigen Wissenschaftlers, herausfinden, wohin ihr Mann wöchentlich verschwindet.
„Zum Paradies“ ist ein Roman von Hanya Yanagihara.
Meine Meinung:
Der Roman umfasst drei Bücher, die aus unterschiedlich vielen nummerierten Teilen bestehen. Dabei gibt es drei verschiedene Erzählstränge. Der erste spielt in einer alternativen Vergangenheit im späten 19. Jahrhundert, der zweite in den 1990er-Jahren und der dritte in der Zukunft im späteren 21. Jahrhundert. Auch die Schauplätze wechseln, wobei ein Schwerpunkt auf New York liegt. In den Innenklappen sind drei Karten abgedruckt, die die Örtlichkeiten während der drei Jahrhunderte abbilden. Ein hübsches und hilfreiches Extra.
Erzählt wird nicht immer chronologisch. Es gibt vor allem innerhalb des dritten Buches einige Zeitsprünge. Erzählt wird im Roman zudem aus wechselnden Perspektiven, zum Beispiel aus der Ich-Perspektive. Dieser Aufbau macht ein aufmerksames Lesen erforderlich.
Besonders in sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman überzeugt. Der Schreibstil ist atmosphärisch stark. Die Erzählstimmen wirken äußerst authentisch und sind an die verschiedenen Personen und Epochen angepasst. Strukturelle Unterbrechungen wie eingefügte Briefe sorgen ebenfalls für Variation.
In inhaltlicher Sicht bietet der Roman auf rund 900 Seiten eine Menge Stoff. Ein großer Pluspunkt sind die kreativen Visionen einer möglichen Zukunft und die Vorstellungskraft in Bezug auf eine alternative Vergangenheit. Beides macht den Reiz der Geschichte für mich aus. Thematisch weist der Roman darüber hinaus mehrere aktuelle Bezüge auf. Namen und Motive wiederholen sich zwar. Allerdings macht das Buch insgesamt leider einen inkohärenten Eindruck.
Der Roman beginnt recht stark im ersten Teil. Danach wird das Buch zwischenzeitlich langatmig und verwirrend, um in der zweiten Hälfte wieder seine Stärken auszuspielen.
Gut gefallen hat mir, wie die Autorin mit den Erwartungen und Annahmen ihrer Leserschaft spielt. Am Ende bleiben durchaus einige Fragen offen, was mich hier in diesem Fall jedoch nicht gestört hat. Vielmehr mochte ich es, dass der Roman Raum für eigene Überlegungen lässt.
Das Cover hat einen hohen Wiedererkennungswert und gefällt mir gut. Der Titel der amerikanischen Originalausgabe („To Paradise“) wurde erfreulicherweise wortgetreu übersetzt.
Mein Fazit:
„Zum Paradies“ von Hanya Yanagihara ist ein herausfordernder, aber auch besonderer Roman. Eine eigenwillige und doch lesenswerte Lektüre, die ich trotz ihrer kleineren Schwächen nicht bereut habe.